Schäfers Grab

Schäfers Grab

Wer von Esthal der rot-weißen Markierung folgend zur Ruine Erfenstein wandert, kommt zwischen dem Vorderen und Mittleren Gleisberg an einer kleinen Rodung vorbei, die den Gewannennamen „Am Gericht“ trägt. Gleich nebenan nennt man eine Waldparzelle „Schäfers Grab“. In den halbwüchsigen Kiefernschlag hat hier der Förster rings um einen kleinen Steinhaufen- kaum 10 Schritte vom Waldrand entfernt – einen Kreis von Fichten gepflanzt. Gehen die Esthaler Kinder auf dem nahen Feldweg Holzholen oder Heidelbeerpflücken an den Mittleren Gleisberg, dann suchen sie schon vorher möglichst dicke Steine, die sie im Vorbeigehen auf die Steinpyramide im Fichtenrondell werfen. So bezeugen die Kleinen heute ihren Abscheu gegen den Mörder, der vor fast 200 Jahren hier sein ehrloses Grab fand.

Er hieß Lorenz Berenhauser und weidete als landfremder Wanderschäfer seine große Herde in den Dalbergischen Waldungen. Seit 10 Jahren schon war er nicht mehr in eine Kirche gekommen. Auch am Tage des Herrn versagte er seiner Seele die Gnadenwirkung des Messopfers und seinem Gewissen den Weckruf der Predigt. Wer wundert sich da noch, dass die letzten Reste des Kinderglaubens in dem finsteren Manne langsam abstarben und er zum Tier unter Tieren wurde? Kam der Schäfer in die Nähe eines Dorfes, dann lockte er größere Schulbuben zu sich, um sie so schlecht zu machen, wie er selber war. Am Nachmittag des 24. Februar 1739 versuchte der Wüstling seine Verführerkünste an dem Esthaler Knaben Johannes Statler. Doch da kam er an den Unrechten. Kaum bemerkte der Bub, was der Schäfer eigentlich mit ihm vorhatte, da riss er sich mit Gewalt los und warf dem Unhol ein derbes Pfälzer Schimpfwort an den Kopf. Jäh stieg dem Schäfer die Schamröte ins Gesicht. Doch vergeblich hatte sich sein verkümmertes Gewissen gemeldet. In wild aufflammenden Zorn eilte er dem tapferen Buben nach und schlug ihm mit der kantigen Schäferschippe den Schädel ein. Rasch wühlte er dann im dichten Unterholz eine flache Grube auf, legte den toten Buben hinein und deckte ihn mit Laub und Erde zu. Noch ehe die frühe Winternacht ihre dunklen Schatten über den Dalbergwald warf, war der Mörder mit seiner Herde hinübergewechselt.

Wenn bei Einbruch der Dunkelheit die Bettglocke läutet, eilen in Esthal die Kinder aller ehrbaren Familien sofort heim. Weil ihr Hans an jenem trüben Februarabend merkwürdigerweise ausblieb, suchte ihn die Mutter im ganzen Dorfe. Sie fand ihren braven Buben zwar nicht, doch sie hörte, dass er draußen bei dem fremden Schäfer gesehen worden sei. Der Vater band den Hofhund los, brummte etwas vor sich hin, dass nach „Lausbub“ und „Durchklopfen“ klang und stapfte zum Dorf hinaus.  Noch war er keine Viertelstunde dem treuen Hunde gefolgt, der mit schnuppernder Nase sofort Hansels Spur aufgenommen, als er plötzlich verwundert stehen blieb. Der Hund bog vom Wege ab und ließ nebenan im Unterholz jämmerliche Klagelaute hören. Sollte er in eine Fuchsfalle geraten sei? Ärgerlich bahnte sich der Vater Stalter einen Weg durch das dichte Gestrüpp. Im Flackerlicht seiner Stalllaterne sah er seinen Hund rasend am Boden scharren. Schon wollte er das aufgeregte Tier barsch zurückrufen, da weiteten sich jähem Entsetzen seine Augen. Der Hund scharrte aus Laub und Moos eine feste Bubenhand heraus und schon zeigte sich auch ein Stück des Rockärmels, den jeder Esthaler als zum Anzug des Stalter Hans gehörig erkannt hätte. Eine Stunde später legte der unglückliche Vater den toten Körper seines Buben daheim aufs Bett. Grell hallte die Mutter Schreckensschreie in die stille Dorfgasse hinaus. In der geweihten Erde des alten Friedhofes fand der kleine Held Johannes Stalter die letzte Ruhestätte. Heute erhebt sich über seinem Grabe die große neue Pfarrkirche. Mild regierte in damaliger Zeit Franz Eckenberts Hand das kleine Dalbergland, stets offen zum Wohltun für Arme, Kranke und Kirchen. Doch hart traf des Ritterhauptmanns rächende Faust jeden Frevler, der es wagte Dalbergische Erde durch eine Meintat zu entweihen. Von erbitterten Bauern und herrschaftlichen Jägern durch die Wälder gehetzt und endlich gefangen, stand Lorenz Berenhauser in schweren Fesseln vor der Dalberger strengen Gericht. Unschuldig vergossenes Blut kann nur durch des Mörders Blut wieder gesühnt werden. Drum wurde der weiße Richterstab kackend entzweigebrochen und dem Verbrecher vor die Füße geworfen.

In Esthal wimmerte das Katharinenglöcklein auf-der Scharfrichter waltete seines grausigen Amtes. Er verscharrte den enthaupteten Leichnam des sündigen Schäfers gleich neben dem Blutgerüst. Man schrieb den 10. April 1739. Seit jenem Tage heißt der Ort „Schäfers Grab“.