Über mir bildet das Grün der Bäume ein dichtes Dach, durch das hier und da die Sonne blitzt. Schier endlos ragt der Stamm des Baumes in die Höhe, dessen leicht raue Rinde ich mit meinen Fingern berühre. Mir wird dabei bewusst, dass hier Haut auf Haut trifft. Dies verbindet, nicht nur in Gedanken, denn Haut und Rinde haben beim Menschen und Baum ähnliche lebensnotwendige Funktionen. Der Wind bewegt leicht den nahezu geschlossenen Teppich aus Farn, durch den der Pfad führt und mich gefühlt im Grün verschwinden lässt. Alles kleine, wunderbare Momente, die mich aneinandergereiht in eine ganz eigene Welt eintauchen lassen und den hektischen Alltag vergessen machen. Die Wanderung auf dem Leininger Klosterweg führt mich zu mir selbst.

Gepaart mit natürlicher Ruhe
Der abwechslungsreiche Prädikatsweg ist durch die Kombination von ausgedehnten, teilweise verwunschenen Wäldern, offenen Ackerflächen und schönen Ausblicken für eine innere Sammlung geradezu prädestiniert. Dass es überall so still ist, fällt mir überraschend spät auf.  So wird der Weg, vor allem wenn man sich allein auf den Weg macht, quasi zu einer rund 16 Kilometer langen Einkehr. Von einer Pilgerreise zu sprechen, wäre sicherlich zu hoch gegriffen, doch der Weg verbindet die beiden ehemaligen Klosterdörfer Hertlingshausen und Höningen. Dadurch liegt eine gewisse Spiritualität in der Luft.

Das Erbe der Leininger Grafen
Bis heute ist die Region so etwas wie Grenzland. Schon in keltischen und römischen Zeiten drängte der Ackerbau den Wald zurück. Um das Jahr 500 herum gründeten die Franken Siedlungen, deren Namen die Endung „-heim“ besitzen. Altleiningen wurde dagegen erst im Mittelalter gegründet. Die ältesten Reste der Burg, heute eine moderne Jugendherberge mit öffentlichem Schwimmbad, werden etwa auf das Jahr 1100 datiert. Sie diente wohl damals dazu, eine wichtige Ost-West-Fernstraße militärisch zu schützen. Die dafür eingesetzten Grafen machten sich die Burg schnell als Lehen zu eigen. So entstand das im Hochmittelalter sehr einflussreiche Geschlecht der Leininger, auf deren Spuren man vielerorts stößt. Graf Emich II. und seine Gattin Albrat stifteten 1120 das Augustiner-Chorherrenkloster Höningen. Etwa 40 Jahre später kam als Pendant das Frauenkloster Hertlinghausen hinzu.

Rundbogentor als Wegweiser
In Hertlingshausen ist leider nichts mehr vom Frauenkloster übrig. In Höningen dagegen, wo gut die Hälfte der Strecke hinter mir liegt, ist dies anders. Durch ein vor rund 900 Jahren aus Sandsteinquadern errichtetes Rundbogentor – es begleitet mich als schwarze Silhouette auf gelbem Grund auf der gesamten Runde als Markierung – gehe ich auf zwei hohe Sandsteingiebelwände zu. Sie sind stumme Zeugen jener Zeit. Ein Giebel stammt vom Hauptportal der Klosterkirche, der andere ist der Westteil des Konvents, in dem sich noch der Eingang zu einem gut erhaltenen Keller befindet. Mehr über die Historie erfahre ich bei meiner Einkehr in der Klosterschänke. Im Gasthaus wird zudem deutlich, was der griechische Naturphilosoph Demokrit (460 – 370 v. Chr.) mit seinem Satz meinte: „Ein Leben ohne Feste ist wie eine lange Wanderung ohne Einkehr.“

Besonderer Ort der Einkehr
Gegenüber vom Gasthaus führt mich eine steile Treppe aus rotem Sandstein hinauf zum Friedhof. Hier erhebt sich über mir die St. Jakobskirche*, die noch älter als das Höninger Kloster ist. Gebaut wurde das Kirchlein, eventuell als Pilgerkapelle, im 12. oder 13. Jahrhundert. Das Kleinod gilt als eines der ältesten romanischen Bauwerke der Pfalz. Über die Jahrhunderte gab es viele bauliche Veränderungen, so dass ich in der Kirche gotische Fenster und Reste mittelalterlicher Freskomalereien finde. Und auch hier stoße ich auf die Leininger Grafen, die dort ihre Gruft anlegten. Mittlerweile sind ihre Gebeine in die Grünstadter Martinskirche umgebettet worden, doch die an der Wand angebrachten Grabplatten erinnern in der St. Jakobskirche nach wie vor an sie. Diese wird übrigens heute nicht nur bei Gottesdiensten, sondern auch bei Konzerten oder am Tag des Denkmals zu einem ganz besonderen Ort der Einkehr.

Schlüsselerlebnis mitten im Wald
Fasziniert betrachte ich den in Stein gemeißelten Petrusschlüssel, das Symbol des Klosters Höningen. Er ziert einen der wenigen erhaltenen Grenzsteine, die einst den Klosterbesitz vom Garnerbenwald abgrenzte. Hier – mitten im Wald – ist der Schlüsselstein für mich ein weiteres Schlüsselerlebnis. Als steinerner Zeitzeuge macht er mir klar, wie wichtig es ist, sich Zeit zu nehmen, die Vergangenheit einzuordnen, Dinge zu verarbeiten und die Zukunft zu planen. Während ich, vorbei an den im hellen Licht leuchtenden Sonnenblumen, Schritt vor Schritt setze, wird der Leininger Klosterweg ein wichtiger Abschnitt auf der Reise zu mir selbst. Wieder angekommen am Ausgangspunkt, dem Naturfreundehaus Rahnenhof, verbinden sich bei Pfälzischen Spezialitäten die beiden Bedeutungen des Wortes Einkehr. Es sind eben die vielen wunderbaren Momente, die das Leben lebenswert machen.

ein Text von Michael Dostal